Intergeneratives Lernen gestalten
Im Rahmen des Deutschen Engagementtages 2021 durfte ich gemeinsam mit dem Verband für sozial-kulturelle Arbeit e.V. und den Mehrgenerationenhäusern aus Haßfurt und Kirchen einen Workshop zum Thema "Digital gemeinsam durchstarten, wie lernen zwischen alt & jung gelingt" halten. Ein paar Gedanken meiner Vorbereitung möchte ich mit Dir teilen.
Intergeneratives Lernen meint das gemeinsame Lernen verschiedener Generationen. So weit, so gut. In meiner Recherche fragte ich mich, was eigentlich unter den Begriff einer Generation zu fassen sei - alt, jung, die Mitte dazwischen? Und wenn ja, wie und wo lernen diese eigentlich gemeinsam?
Lass es mich kurz fassen: Es wie mit so vielen Dingen - es gibt keine einheitliche Definition des Begriffs.
Drei Generationenbegriffe finden sich im wissenschaftlichen Diskurs verstärkt wieder (vgl. Liebau 1997; Uhlendorff 2008; Franz et. al. 2009):
Der genealogische Generationenbegriff
Generation wird hierbei im Kontext des sozialen Gefüges der Familie verstanden. Es gibt die Generationen der Kinder, Eltern, Großeltern. Wissen wird innerhalb dieser Generationen weitergegeben und die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Generation ändert sich im Laufe des eigenen Lebens.
Der historisch-politische Generationenbegriff
Der historisch-politische Generationbegriff fußt auf der Zugehörigkeit zu einer Gruppe von Personen, die in einem bestimmten Zeitraum geboren und aufgewachsen sind und daher bestimmte Einstellungen und Erfahrungen miteinander teilen. Ihm werden bestimmte “politische, kulturelle oder soziale Gemeinsamkeiten zugeschrieben” (Franz et. al. 2009, S. 27).
Der pädagogische Generationenbegriff
Dieser Begriff bezieht sich auf die Lernbeziehung zwischen unterschiedlichen Generationen (ebd.). In diesem Verständnis von Generation übernimmt eine Generation die Rolle der “Lehrenden” während die andere Generation die Rolle der “Lernenden” einnimmt. Dabei muss es sich aber nicht um tradierte Rollen, z. B. ältere Personen als Lehrende handeln, sondern es geht vielmehr um “den Erfahrungsvorsprung einzelner am Lernprozess Beteiligter” (ebd.).
In meiner Arbeit versuche ich mich am pädagogischen Generationenbegriff zu orientieren - dies liegt für mich auch in der Aufgabe zur Schaffung eines lebenslangen Lernens begründet. Wir alle tragen Wissen in uns. Es geht darum dieses mit anderen zu teilen, es zu erweitern und im bestmöglichsten Fall neues Wissen durch gemeinsames Lernen zu schaffen.
Zugänge zu intergenerativem Lernen
Als ich mich mit den Generationsbegriffen auseinandersetzte, kam mir ein Bild aus der Zeit meines Philosophie-Studiums in den Kopf, bei dem ich im Hörsaal immer wieder zwischen vielen älteren Leuten saß, die im Rahmen einer Gasthörerschaft eingeschrieben waren. Und dann fragte ich mich, ob ich mit diesen Kommilitonen:innen eigentlich zusammen gelernt hatte. Ich muss das verneinen. Zwar saßen wir in den gleichen Räumen und lauschten den gleichen Inhalten - aber eins fehlte: der gemeinsame Austausch. Heute wünschte ich mir, ich hätte einmal gefragt, weshalb sie sich für das Studium entschieden hatten, was sie dazu bewegte, welche Perspektiven sie zu bestimmten Themen haben.
Es zeigt sich also, nur weil unterschiedliche Generationen am gleichen Angebot teilnehmen, heißt es nicht, dass es sich auch um ein intergeneratives Lernangebot handelt. Was aber braucht es jetzt dafür? Ein Blick in die wissenschaftliche Literatur zeigt, dass es unterschiedliche Zugänge gibt, die dazu beitragen, den Dialog zwischen Generationen anzuregen und intergeneratives Lernen ermöglichen. Siebert & Seidel (1990) sowie Franz (2009) beschreiben dabei folgende Formen:
Das voneinander Lernen
Das übereinander Lernen
Das miteinander Lernen
Das voneinander Lernen
Beim voneinander Lernen geht es darum Potenziale zu nutzen (Franz et. al. 2009, S. 21). Hier verfügt eine Generation über ein bestimmtes Wissen und gibt dieses an eine andere Generation weiter. Dabei gibt es die klassischen Rollen von “Lehrenden” und “Lernenden”. Zwar beeinflusst das Generationenverhältnis den Lernprozess, ist aber selbst nicht Lerngegenstand. Franz et. al. beschreiben diese Form als “natürliche Form des Lernens in einem genealogischen Generationenverhältnis” (ebd., S. 38).
Das übereinander Lernen
Beim übereinander Lernen steht die Förderung eines gegenseitigen Verständnisses (ebd., S. 21) der Generationen im Mittelpunkt. Hier bringen Lernende unterschiedlicher Generationen ihre eigenen Erfahrungen, Sichtweisen und Wissen mit - diese werden dann selbst zum Lerngegenstand. Dabei wird der “historische Zusammenhang, in den eine Generation eingebunden ist, [.] ausdrücklich thematisiert” (ebd. S. 40). Es geht also darum zu verstehen bestimmte Perspektiven kennen zu lernen, in einen Kontext zu setzen und im gemeinsamen Austausch zu reflektieren.
Das miteinander Lernen
Das miteinander Lernen zielt darauf gemeinsam Horizonte zu erweitern (ebd., S. 21). Hier stehen “[gemeinsame] Lernprozesse und Lernaktivitäten im Vordergrund” (ebd. S. 39). Lernende sollen hier auf Augenhöhe miteinander lernen, gemeinsam neue Dinge ausprobieren und Wissen gemeinsam generieren.
Du wirst merken, dass in der Planung deiner eigenen Bildungsangebote alle drei dieser Lernzugänge sinnvoll eingesetzt werden könnten und sollten. So stellst Du Lernangebote zusammen, die dazu beitragen, dass Lernende ihre Kompetenzen einbringen können, ihr Bewusstsein für andere Lerner:innen und deren Geschichten zu schärfen und gemeinsam ganz spannende Inhalte generieren.
Didaktische Grundorientierungen für intergeneratives Lernen
Jetzt magst Du Dir denken “Schön und gut, Lara. Aber wie gehe ich das Ganze jetzt konkret in der Praxis an?”. Gute Frage!
Franz et.al. bieten auch hierfür schon formschöne und ganz praktische didaktische Hinweise. Sie verweisen auf sechs Grundorientierungen, die Du bedenken solltest, wenn Du intergenerative Angebote planst. Diese stelle ich Dir nachfolgend kurz vor.
Raum für Biografiearbeit
Mache Dir bewusst, dass jede:r Lerner:in ihr eigenes “Päckchen” mitbringt. Das heißt unterschiedliches Vorwissen, unterschiedliche Lernerfahrungen und eine ganz eigene Geschichte. All diese Dinge sind oftmals an Emotionen geknüpft (ebd. S. 55) und bedürfen deshalb einer besonderen Aufmerksamkeit durch Dich als Pädagog:in. Gerade dann, wenn Generation und das eigene Erleben Lern- und Austauschgegenstand sind, musst Du Dir der Sensibilität des Themas bewusst sein und entsprechend einfühlsam reagieren können. Lasse Deinen Lerner:innen genügend Raum in der Aushandlung mit diesen Emotionen.
Einbindung des Sozialraumes
Der Sozialraum kann einen Lernort bilden, an dem sich Lerner:innen verschiedener Generationen treffen, austauschen und diesen gemeinsam erkunden und gestalten. Dabei bietet er eine Reihe an (Konflikt-)Potenzial, ist dieser doch geprägt durch “strukturelle, soziale, kulturelle und dynamische Wandlungsprozesse” (ebd. S. 56). Für Dich heißt das also, die Möglichkeiten des Sozialraums schon vorab in den Blick zu nehmen und zu überlegen, wie Du ihn in Deine geplanten Angebote miteinbeziehen kannst. Eine genaue Analyse erachten Franz et.al. als besonders wichtig, um “Konfliktlinien und Spannungslinien zu identifizieren” (ebd. S. 58), aber eben auch um die “Identifikation [der Lernenden] mit generationsübergreifenden und -verbindenden lokalen und kommunalen Themen [anzuregen]” (ebd. S. 58).
Hinweis: Einen entsprechenden Fragenkatalog für die Sozialraum-Analyse findest Du in der Literatur auf S. 59, ich verlinke diese am Ende des Beitrags.
Interaktion
Wenn wir etwas über andere lernen bringen wir oftmals schon bestimmte Vorbehalte und Stereotype mit. Gerade in intergenerativen Lernsettings prasseln diese unterschiedlichen Perspektiven aufeinander und können aber im besten Falle aufgelöst werden. Hierfür braucht es jedoch einen hohen Grad an Möglichkeiten zur gemeinsamen Interaktionen und Situationen für Kommunikation. Für Pädagog:innen bedeutet dies, Lernformen und Methoden zu wählen, die solchen Austausch ermöglichen. Es geht darum Deine Lerner:innen immer wieder in den Austausch zu bringen und sie dafür zu motivieren.
Partizipation
Wenn Du mich fragst, würde ich sagen: Partizipation von Anfang an! Indem Du Deine Lernenden aktiv einbeziehst, trägst Du dazu bei, dass sie sich wertgeschätzt fühlen, dass sie mitbestimmen können und ihr eigenen Selbstlernpotenzial entfalten (ebd. S. 63). Gib Deinen Lernenden die Freiheiten sich einzubringen, z.B. indem du mit Ihnen darüber sprichst, welche Themen sie wählen möchten; auf welche Lernmedien zurückgegriffen werden soll oder welche Rollen sie im Lernprozess übernehmen wollen.
Orientierung an Aktion
Das Prinzip der Aktionsorientierung zielt darauf, dass Du als Pädagog:in mit der Wahl der Lernformen dazu beiträgst, die Selbständigkeit Deiner Lerner:innen zu fördern (ebd. S. 65). Dafür bietet sich vor allem das Prinzip des handelnden Lernens als Gegensatz zur reinen Instruktion an. Für Dich und Deine Praxis solltest Du deshalb darauf achten, kreative Methoden einzusetzen, bei denen Deine Lerner:innen genügend Raum erhalten, um sich selbst zu organisieren. Wenn möglich setze auch darauf, dass die Ergebnisse offen sind (ebd.).
Reflexion
Reflexion wird in Bildungsangeboten oftmals eingekürzt oder noch schnell an den Schluss der Veranstaltung gehangen. Versuche in Deinen intergenerativen Angeboten aber ausreichend Zeit dafür einzuräumen. Denn der Austausch der Eindrücke, Ideen und Wünsche können dazu beitragen, dass Du Deine Lerner:innen weiterhin für intergeneratives Lernen motivieren und Deine Angebote passgenauer an ihre Bedarfe anpassen kannst. Franz et. al. verweisen dabei auch auf die Wichtigkeit von Zwischenreflexionen. Diese “eröffnen kontinuierlich die Gelegenheit, intergenerationelle Dialog- und Bildungsprozesse zu bewerten und jene Aspekte zu beleuchten, die durch das gemeinsame Lernen in der Gruppe sichtbar wurden” (ebd. S. 69).
Es ist wichtig, dass Du möglichst eine Vielzahl dieser Prinzipien mit in deine Planung einbeziehst - Du wirst schnell merken, dass diese sich auch überschneiden oder gegenseitig begünstigen. Ich bin gespannt, ob Du hier ein paar Anregungen für Dich und die Umsetzung eines intergenerativen Bildungsangebotes mitnehmen konntest. Ein paar Literatur- und Linktipps füge ich Dir natürlich noch anbei.
Literatur:
Liebau, Eckart (Hg.) (1997): Das Generationenverhältnis. Über das Zusammenleben in Familie und Gesellschaft. Weinheim und München.
Uhlendorf, Harald (2008): Alt und Jung außerhalb und innerhalb der Familie. In: Hoffmann, Dagmar/Schubarth, Wilfried/Lohmann, Michael (Hg.): Jungsein in einer alternden Gesell- schaft. Bestandsaufnahme und Perspektiven für das Zusammenleben der Generationen. Weinheim und München. S. 133–152.
Siebert, Horst/Seidel, Erika (1990): SeniorInnen studieren. Zwischenbilanz des Seniorenstudiums an der Universität Hannover. Hannover.